Seit längerem bemerke ich in den sozialen Medien, aber auch im direkten Gespräch, wie schwer es ist über Totalitarismus zu sprechen. Die Reaktionen ersticken die meisten Diskussionen im Keim und machen eine Fortführung des Gesprächs oft unmöglich. Warum ist das so und warum machen so viele Teilnehmer dann komplett zu? Diese Frage gärte lange in mir und es entwickelte sich ein Gedanke für die möglichen Gründe.
Die Theorie ist, dass wir alle schon von der Schule darauf getrimmt wurden, einen totalitären Unrechtsstaat nicht mehr zuzulassen, was absolut richtig war und noch ist. Ich befürchte aber, dass mit der Aufarbeitung der schrecklichen Geschichte der Fokus zu einseitig auf den Nationalsozialismus gelegt wurde. Das ist verständlich, aber letzten Endes nicht zielführend, da die funktionellen Prinzipien des Totalitarismus und Faschismus nicht ideologisch eingegrenzt werden können, sondern universell sind. So starren wir alle die ganze Zeit nach rechts und wollen den Totalitarismus, den wir immer von dort vermuten, verhindern. Das liegt auch weiterhin auf der Hand, engt den Blick aber ein, da die Gefahr aus jeder Ecke kommen kann. Wir wähnen uns auf einer Einbahnstraße mit Verkehr von rechts, befinden uns aber auf einer mehrspurigen Straße mit Verkehr von rechts und links.
Deshalb wäre es im höchsten Maße gefährlich, die Straße zu überqueren, wenn man nur nach rechts schaut.
Das könnte der Grund dafür sein, warum so viele Menschen allergisch, ja aggressiv darauf reagieren, wenn man vor einer Entwicklung warnen möchte, die nicht von rechts kommt. Das kann ja gar nicht möglich sein, weil es doch die vermeintliche Mitte ist: die Guten. Zu den Guten zählen wir uns ja bekanntlich alle. Aber auch wer das Gute will, kann das Böse heraufbeschwören und einen falschen Weg einschlagen. Das Böse kennt keine Ideologie. Das Böse fängt nicht als das Böse an, sondern mit immer mehr autoritären Forderungen und roten Linien, die fortlaufend überschritten werden. Alles im Namen des Guten und Richtigen. Ich habe mal einen sehr guten Satz gehört, den ich mir seitdem immer wieder hervorhole: „In jedem Verhalten liegt eine gute, positive Absicht.“ Der Satz ist unbequem, sagt er doch „in jedem“, aber wenn man ihn durchdenkt, ergibt er sehr viel Sinn.
Der folgende Text soll die Prinzipien des Totalitarismus und Faschismus erörtern – und zwar ohne ideologische Brille, sondern nur mit Blick auf deren universelle Prizipien. Er ist nicht sehr lang, denn er soll im Idealfall gelesen werden und bleibt dabei natürlich etwas an der Oberfläche. Er soll lediglich einen Überblick über das verschaffen, was man in vielen einschlägigen Werken und Texten ausführlich nachlesen kann
Totalitarismus und Faschismus
Eine freie Gesellschaft definiert den Staat als Spielfeld mit weit gesteckten Regeln (Recht und Gesetz), in dem sich das Individuum frei entfalten kann, während der totalitäre Staat Gesetze zum „eisernen Band“ macht (Hannah Arendt) und somit das eigenständige und selbstbestimmte Handeln seiner Bevölkerung unmöglich macht.
Der Staat schmiedet dieses „eiserne Band“ mit einer Erzählung, die ihm zur Selbstlegimiation dient. Jedem Totalitarismus liegt eine Erzählung zur Legitimation seiner strengen Normen/Gesetze zugrunde. Sie wird zum „Bewegungsgesetz“ (H. Arendt). Sie ist das Fundament, mit dem alles weitere Handeln legitimiert wird. Dem Erreichen dieses Ziels gilt die ganze Aufmerksamkeit, denn nur wenn man stark genug daran arbeitet, kann man die „Erlösung“ finden, also das Versprechen, das mit dieser Bewegung gegeben wurde.
Auf diesem Weg versucht der totalitäre Staat das menschliche Leben in allen Aspekten zu kontrollieren und letzten Endes zu unterwerfen.
Dieses Bewegungsgesetz ist so definiert, dass es nie erreicht werden kann, es wird immer neue Aspekte und Begründungen geben, die zum endgültigen Erreichen des Zieles noch benötigt werden. So wird der ehemals freie Bürger immer mit dem Versprechen geködert, an dieser Spirale mitzuarbeiten. Alle Maßnahmen dienen der Disziplinierung der Bevölkerung, werden aber als notwendig verkauft, um das „höhere Ziel“ zu erreichen.
Das Bewegungsgesetz muss permanent am Laufen gehalten werden. Es verlangt der Bevölkerung alle Kraft und absolute Kooperation ab. Jedwedes Infragestellen gilt als unsolidarisch und moralisch verwerflich.
Hier kommen wir nun zum Faschismus, denn ein totalitärer Staat kommt nicht ohne Unterstützung aus. Sehr viele habe beim Begriff „Faschismus“ die SW-Bilder aus der jüngeren Vergangenheit in Erinnerung. Das ist einerseits richtig, aber auch komplett falsch. Falsch deswegen, weil der Faschismus nicht zwangsläufig so enden muss. Der Faschismus ist der Weg und unterstützt den totalitären Staat, weil viele seiner Bürger an dessen große Erzählung glauben. Er will Gutes tun und helfen, dieses Ziel zu erreichen. Der Bürger will richtig handeln. Um diesen Weg zu gehen, versucht der totalitäre Staat seine Bürger bei der Stange zu halten. Dies macht er, indem er die Bewegung mit wissenschaftlichen „Beweisen“ untermauert, die alternativloses Handeln erfordern. Zum anderen fördert er das kollektivistische Denken und Fühlen seiner Bürger, das diesen wiederum die Möglichkeit bietet, an etwas ganz Großem teilhaben zu können. Dabei hilft ihm ein explizit moralischer Diskurs und vor allem die Angst. Die kontinuierlich geschürte, offen und unterschwellig induzierte Angst ist der vielleicht wichtigste „Booster“, um das Immunsystem ehemals freier Bürger gegenüber staatlichen An-, Ein- und Übergriffen zu schwächen. Aber auch die Inszenierung eines Feindes, der das Erreichen des „Endziels“ zu verhindern sucht, ist für die Bewegung von elementarer Bedeutung. Ein gemeinsamer Feind schafft Zusammenhalt und Zugehörigkeit. Hier die kooperativen Bürger, die alle Mühsal auf sich nehmen, um das Ziel zu erreichen und dort die häßlichen Verweigerer, die den kooperativen und solidarischen Bürger daran hindern wieder frei zu werden.
Ebenfalls ist der Totalitarismus von der Exekutiven, der Judikativen und den Medien abhängig. Hat er die Sicherheit, dass auch sie dieser Erzählung folgen, kann sein Wirken ungestört fortgesetzt werden. Beamte und Medienschaffende müssen deshalb ihr Denken und Handeln nach dieser neuen Macht ausrichten. Wichtig dabei ist, dass diese Erzählung nicht durch „falsche“ Einflüsse gestört wird. Aus diesem Grund muss der Debattenraum kontrolliert werden. Jeder, der etwas behauptet, was der großen Erzählung widerspricht, wird als Leugner, Gegner und Feind gecancelt – oft ist der Weg zum Rechtsradikalen und Antisemiten dann nicht mehr weit, denn diese Etikettierung ist die effektivste Keule, um andere Meinungen aus dem Debattenraum herauszuhalten. Der Diskurs ist kaputt. Er stört die große Erzählung.
Die Spaltung der Gesellschaft kommt dem Totalitarismus dabei sehr entgegen, da er sie braucht. Er beklagt die Spaltung nur scheinbar. Eine Gesellschaft der Einigkeit würde den totalitären Staat sehr schnell zusammenbrechen lassen. Deshalb schürt er aktiv das Feindbild.
Um in diesem Klima zu (über)leben, kommt dem Menschen eine natürliche Eigenschaft zugute. Er ist ein soziales Wesen, das nicht alleine leben kann. Er braucht die Gewissheit und Zustimmung der anderen. In einem Klima, das aktiv und bewußt Feinde inszeniert, fällt es den meisten nicht schwer sich auf die „richtige“ Seite zu stellen. Das ist völlig normal und verständlich, denn schließlich hat der Einzelne die Folgen und Gefahren durch unkooperatives Verhalten stets vor Augen. So entsteht ein Klima der Verunsicherung und der Angst. Das fördert Denunziation und gegenseitiges Überbieten in der Auslegung und Einhaltung der Erzählung/Ideologie, um stets beweisen zu können, auf der richtigen Seite zu stehen. Das treibt diese Bewegung förmlich in eine Eskalation.
Eines kann man aber schon jetzt mit Gewissheit sagen. Solchen Systemen ist das Ende und der Tod bereits mit in die Wiege gelegt worden. Die entscheidende Frage ist nur, wieviel Schaden werden sie anrichten, bis sie wieder von der Weltbühne verschwinden. Und wie werden sich die Menschen danach wieder begegnen und in die Augen schauen können. Die Mehrheit wird keine großen Probleme damit haben, sie wird sich einfach der neuen „richtigen“ Seite anpassen. Schwierigkeiten werden eher die „Dissidenten“ haben, die eine lange Zeit brauchen werden, um wieder Vertrauen in staatliche Institutionen und in Ihre Mitmenschen setzen zu können.
Ausgezeichnet auf den Punkt gebracht.
Dazu fällt mir noch das Zitat von Noam Chomsky ein: „The smart way to keep people passive and obedient is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow very lively debate within that spectrum—even encourage the more critical and dissident views. That gives people the sense that there's free thinking going on, while all the time the presuppositions of the system are being reinforced by the limits put on the range of the debate.“
Vgl. Fridays for Future und Letzte Generation